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Geschichtlicher Hintergrund

Wie kam es zu den zwei Tagungsorten des Grossen Rates im Kanton Thurgau?

Mit der Mediationsverfassung vom 19. Februar 1803 wurde der Thurgau erstmals ein eigenständiger Kanton der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Die thurgauische Legislative von 1803 trug die Bezeichnung Grosser Rat, zählte 100 Mitglieder, war auf fünf Jahre gewählt und versammelte sich erstmals am 14. April im Rathaus Frauenfeld. 

Nach dem Sturz von Napoleon I. kam es unter Druck der Restaurationsbewegung zur revidierten Verfassung vom 28. Juli 1814. Die erste Sitzung des Grossen Rates unter der neuen Verfassung fand am 27. Februar 1815 in Frauenfeld statt. Das Parlament versammelte sich jedes Jahr in der ersten Januar- und Juniwoche zu Sessionen zu je 14 Tagen. Die Tätigkeit war ehrenamtlich, es gab keine Entschädigungen. Die Sitzungen waren nur zur Begrüssungsrede des Landammans öffentlich.

Die Kantonsverfassung (auch Regenerationsverfassung genannt) vom 14. April 1831 verwandelte den Thurgau erstmals in eine repräsentative Demokratie. In Kraft gesetzt wurde sie am 1. Juni 1831, seither beginnt das Amtsjahr im Thurgau an diesem Tag. Der Grosse Rat versammelte sich immer noch zweimal jährlich, von jetzt ab nur noch im Winter in Frauenfeld, im Sommer tagte er in Weinfelden, von wo aus die Regenerationsbewegung ausgegangen war. Die Mitglieder des Grossen Rates erhielten nun auch eine Entschädigung. Zu Sitzungen in Steckborn – auch Arbon und das Kloster Kreuzlingen standen zur Debatte – wie im Verfassungsrat vorgeschlagen wurde, kam es nicht: der Grosse Rat dürfe doch "keine wandernde Musikgesellschaft" werden, wandte man ein. Ausschlaggebend waren wohl auch praktische Gründe wie die zentrale Lage Weinfeldens für die Anreise der Ratsmitglieder sowie die Verfügbarkeit von Gebäulichkeit und Mobiliar.

Die bisher letzte wesentliche Veränderung der Stellung des Grossen Rates brachte die Verfassung des Kantons Thurgau vom 28. Februar 1869. Die Grösse des Parlaments wurde an die Entwicklung der Bevölkerung gebunden. Die Mitglieder wurden auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt. 
Anfang 1919 wurde ein Gesetz zur Einführung des Proporzwahlsystems gemäss eidgenössischem Modus mit acht Bezirken als Wahlkreisen (Amtsdauer drei Jahre) knapp angenommen. Die Amtsdauer wurde 1966 von drei auf vier Jahre verlängert. Nach der Realisierung des Frauenstimmrechts im Jahre 1971 wurde die feste Zahl von 130 Mitgliedern eingeführt.

Die meist halbtägigen, ausnahmeweise ganztägigen Sitzungen des Grossen Rates finden gemäss der neuen Kantonsverfassung vom 16. März 1987 (in Kraft gesetzt am 1. Januar 1990) im Winter (bisher Sommer) in Weinfelden und im Sommer (bisher Winter) in Frauenfeld statt. Offenbar waren es die kürzeren Anfahrtswege bei winterlichen Verhältnissen, welche den Ausschlag zu diesem Wechsel gegeben hatten.

Dieses Pendeln des Grossen Rates zwischen zwei Standorten ohne eigenen Sitzungssaal ist schweizweit einmalig und dürfte – nebst dem Europaparlament – auch ein in Europa einzigartiges Vorgehen sein. Sowohl in Frauenfeld als auch in Weinfelden tagt der Grosse Rat im jeweiligen Rathaus. Für die Nutzung der Sitzungssäle wird eine Miete entrichtet. 

Quellenangaben
Lei, Hermann: Der Grosse Rat von Thurgau, in: Stadlin, Paul (Hrsg.): Die Parlamente der schweizerischen Kantone, Zug 1990, S. 401-407